DSi

TNG 6.20 Das fehlende Fragment


The Chase

von Yann-Patrick Schlame

Episodenbeschreibung

Sternzeit: 46731,5
Die Enterprise untersucht im Voltaira-Nebel Protosterne, als Picard unerwarteten Besuch erhält: Sein früherer Mentor, Professor Richard Galen, kommt an Bord und macht ihm einen kurlanischen Naiskus zum Geschenk, ein unglaublich wertvolles und vollkommen erhaltenes Artefakt, das 12.000 Jahre alt ist. Galen appelliert an Picards Sinn für die Archäologie, um ihn dazu zu bewegen, ihn auf der folgenden Reise zu begleiten. Er hält sich über das Ziel bedeckt, meint aber, Picard hätte die Chance, zusammen mit ihm zu den bedeutendsten Archäologen ihrer Zeit zu werden. Er argumentiert, dass sein Meisterschüler Picard dieselbe Chance 30 Jahre zuvor ausgeschlagen hat, als er zur Sternenflotte ging, und diesen Fehler nun nicht noch einmal begehen würde. Doch Picard kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen und muss zu seinem großen Bedauern ablehnen, obwohl Galen, der ihm wie ein Vater war, ihm nach wie vor viel bedeutet. Also macht sich der Professor alleine auf den Weg, während die Enterprise nach Abschluss der wissenschaftlichen Mission einer Konferenz auf Atalie VII entgegenfliegt.
Wenige Tage später erhält man einen Notruf vom Shuttle des Professors. Als die Enterprise eintrifft, wird es von einem yridianischen Zerstörer angegriffen. Als der auch noch das Feuer auf die Enterprise eröffnet, lässt Picard zurückschießen. Trotz schwach eingestellter Phaser wird das yridianische Schiff zerstört, doch man kommt zu spät: Das Shuttle wurde bereits geentert, und der Professor, der niedergeschossen wurde, stirbt kurz darauf in der Krankenstation.

Im Computer des Shuttles entdeckt man 19 verschlüsselte Zahlenblöcke, auf die sich Geordi keinen Reim machen kann, und auch Picard gelingt es nicht, in ihnen irgendeinen Sinn zu erkennen. Kurzerhand lässt er Kurs auf Ruah IV setzen, wo der Professor zuletzt Halt gemacht hatte, doch lässt sich dort nichts Verwertbares finden - der Planet weist nicht einmal Spuren einer früheren Besiedlung auf, und man fragt sich, was ein Archäologe dort gesucht haben könnte. Ein weiteres Ziel des Professors war Indri VIII, und Picard lässt, trotz Rikers Drängen wegen der Konferenz, Kurs darauf setzen. Als man dort ankommt, wird man Zeuge einer Plasmareaktion, die sämtliches Leben auf der Oberfläche vernichtet. Es stellt sich die Frage, wer eine solche Reaktion auf einem unbewohnten und strategisch unwichtigen Planeten auslösen sollte. Die losen Enden führen Picard zu der Theorie, dass die Zahlenblöcke etwas mit organischem Leben zu tun haben könnten.

Der Schiffscomputer bestätigt, dass es sich bei den Zahlenblöcken um die mathematische Darstellung von DNA-Fragmenten handelt, die sich bei 19 Lebensformen auf jeweils unterschiedlichen Planeten, die im ganzen Quadranten verstreut sind, finden lassen. Geordi ist von diesem Fund fasziniert und schließt eine natürliche Ursache aus: Da die Fragmente untereinander kompatibel sind, muss es sich um einen Algorithmus auf molekularer Ebene handeln, der wie ein Computerprogramm aussieht. Das lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass vor knapp 4 Milliarden Jahren jene DNA-Fragmente auf den verschiedenen Planeten "ausgesät" wurden. Es wäre denkbar, dass ein weiteres Fragment auf Indri VIII zu finden war - vor der Vernichtung allen dortigen Lebens. Also ist noch jemand daran interessiert, das Puzzle, das Galen aufgetan hat, zu lösen.

Picard erinnert sich an die Reiseroute des Professors und kommt darauf, dass jener auch auf Loren III war, von dort jedoch keine Probe im Shuttle zu finden war. Es wäre zwar denkbar, dass die Yridianer jene Probe entwendet haben, doch werden sie nicht dazu gekommen sein, den Fund noch irgend jemandem mitzuteilen. Also lässt der Captain Kurs setzen.

Dort angekommen, trifft man auf zwei cardassianische Kriegsschiffe, die die Enterprise vertreiben wollen. Doch wird die Verwirrung erst komplett, als sich auch noch ein klingonischer Schlachtkreuzer enttarnt, dessen Captain ebenfalls eine Probe von der Oberfläche einsammeln möchte. Es gelingt Picard, ein Treffen mit allen drei Parteien auf der Enterprise abzuhalten, wo sich verdeutlicht, dass sie alle auf der Suche nach den fehlenden Fragmenten sind, um das Computerprogramm zusammenzusetzen. Der klingonische Captain Nu'Daq erklärt, dass er auf Indri VIII war und dort alles Leben vernichtete, nachdem er seine Probe eingesammelt hatte, während die Cardassianer unter Gul Ocett einen Teil des Puzzles von den Yridianern erhalten haben. Beide steuern ihre Ergebnisse bei, und zusammen mit dem, was die Enterprise bereits hatte, ergibt sich ein klareres Bild - doch fehlt noch immer ein DNA-Fragment, und keiner hat mehr einen Hinweis. Dann kommt Picard auf die Idee, die vorhandenen Informationen aus dem Programm mit der Sternenkonstellation vor 4 Milliarden Jahren zu vergleichen, in der Hoffnung, dass der Urheber des Programms auf diese Weise die Suche nach fehlenden Fragmenten vereinfachen würde. Jedoch dauert eine solche Analyse einige Zeit - Zeit, die sich der Klingone, der hinter dem Programm eine mächtige Waffe vermutet, nicht entgehen lässt, um von Data ein schnelleres Ergebnis zu erhalten, was er jedoch nicht bekommt: Data lässt sich nicht bestechen. Auch die Cardassianer, die eine unerschöpfliche Energiequelle zu finden hoffen, sind nicht untätig: Sie versuchen, die Sicherheitssysteme der Enterprise zu sabotieren, was Geordi nur durch Zufall bemerkt...

Als die Analyse beendet ist, nennt der Computer als Ziel das Rahm-Izad-System. Sofort beamen sich die Cardassianer auf ihr Schiff und beschießen sowohl die Enterprise als auch das Schiff der Klingonen. Doch man hat vorgesorgt: Schäden werden nur vorgetäuscht, und man macht sich gleich nach dem Abflug der getäuschten Cardassianer auf den Weg zum wahren Ziel: Dem Vilmoran-System, wobei der klingonische Captain mitgenommen wird, denn sein Schiff wurde trotz Vorkehrungen beschädigt. Auf dem zweiten Planeten entdeckt man sehr alte Spuren von Leben, doch mittlerweile gibt es bloß noch Flechten. Picard beamt mit einem Außenteam und dem Klingonen dorthin, wo man noch Spuren von Leben finden kann, als auch schon die wütenden Cardassianer eintreffen. Doch bevor sich die streitenden Parteien gegenseitig niedermachen können, betritt auch noch ein Trupp Romulaner, die mit ihren getarnten Schiffen die ganze Zeit die Suchenden verfolgt haben, die Szenerie.
Es entwickeln sich heiße Wortgefechte, doch Picard behält die Ruhe und führt einen Scan einiger Mineralien durch. Als das fehlende Fragment erkannt wird, rekonfiguriert sich der Tricorder von selbst und strahlt plötzlich das Bild einer menschenähnlichen Person aus. Alle Streitenden verstummen und lauschen gebannt den Worten des fremden Wesens.
Jenes erläutert, dass es zu einer längst ausgestorbenen Kultur gehört, die auf Planeten im ganzen Weltraum Elemente ihrer DNA in den Ozeanen zurückgelassen hat, damit sich dort irgendwann einmal Lebewesen entwickeln würden, die ihnen ähnlich sind. Auf diese Weise wollten sie sich vor dem Aussterben bewahren. Sie hofften, dass all die verschiedenen Welten, auf denen sie die DNA aussetzten, eines Tages in Frieden zusammenleben und gemeinsam ihre Herkunft ergründen würden. Da dies nun geschehen sein muss, sind sie glücklich, dass es ihnen gelungen ist, sich ein Momument zu setzen und zu wissen, dass ihr Andenken von ihren "Nachfahren" bewahrt wird.
Damit verschwindet die Projektion - genauso wie der Klingone und die Cardassianer, die über diese Entdeckung alles andere als begeistert sind. Sie machen sich wieder auf den Weg nach Hause. Auch Romulaner und das Föderationsteam begeben sich wieder in ihre Raumschiffe, allerdings sehr viel bedächtiger.
Später spricht Picard mit Beverly über die Erlebnisse und zeigt sich betrübt darüber, dass diese unglaubliche Erkenntnis offensichtlich fast nur auf taube Ohren gestoßen ist. Doch dann wird er vom Captain der Romulaner gerufen:

"Captain, meine Schiffe werden nun in romulanisches Gebiet zurückfliegen - also dann, bis zur nächsten Begegnung."
"Ja, bis dann."
"Allem Anschein nach sind wir ja doch nicht von so vollkommen unterschiedlicher Art - weder in unseren Hoffnungen, noch in unseren Ängsten."
"Ja."
"Wer weiß, möglicherweise, eines Tages..."
Picard beschließt die Episode mit den Worten:
"Eines Tages..."




Bewertung

Was für eine Episode! Da kommt, ganz unscheinbar gegen Ende der sechsten Staffel und versteckt zwischen diversen, bedeutungsvollen Doppelfolgen, diese möglicherweise wichtigste Episode aller Trek-Serien daher. So haben jene unscheinbaren Besucher aus der Vergangenheit den Grundstein des Trek-Universums gelegt, und in Jahrhunderten bemannter Raumfahrt ist niemand darauf gestoßen. Doch vor allem wird eine der ernst zu nehmendsten Fragen aller Kritiker endgültig niedergeschmettert; die Frage, die man in verschiedenen Formulierungen immer wieder hört, lautet natürlich: Wie kommt es eigentlich, dass sich alle Spezies bei Trek immer so ähnlich sehen und bloß hier und da mal Unterschiede aufweisen? Wer immer diese Frage nach "Das fehlende Fragment" stellt, wird eine einfache und klare Antwort erhalten können. Doch genug philosophiert, kommen wir zur eigentlichen Bewertung:

Zu allererst erfährt man wieder einmal viel über Picard: So zeigt sich, dass er vor ca. 30 Jahren vor der Wahl stand, Archäologe zu werden oder zur Sternenflotte zu gehen. Wie er sich entschieden hat, wissen wir, doch zeigt sich, dass die Entscheidung relativ knapp war. Zwar beteuert Picard, dass er diesen Entschluss wieder treffen würde, doch scheint es ihn auch mit einem gewissen Bedauern oder einer leichten Reue zu erfüllen, dass er seiner Leidenschaft nach der Archäologie nur so selten nachkommen kann.
In Professor Galen hatte er, wie er Troi erklärt, jemanden gefunden, der für ihn wie ein Vater war. Zu jener Zeit lebte Picards Vater noch, doch Galen verstand ihn besser und konnte ihn mit ansprechenden Aufgaben fesseln. Für den Professor war Picard gleichermaßen wie ein Sohn, denn Galens Söhne traten nicht in seine Fußstapfen. Das Bild, das hier gezeichnet wird, deckt sich mit dem des leidenschaftlichen Kadetten, der Picard auch auf der Akademie der Sternenflotte gewesen sein muss (siehe z.B. "Das Herz eines Captains", "Die letzte Mission" oder "Willkommen im Leben nach dem Tode"), denn was immer er tut, tut er mit vollem Einsatz, und er hat sicherlich das Ziel, einer der besten auf seinem Gebiet zu sein. So auch bei der Archäologie, denn Galen nennt Picard seinen "Meisterschüler".
Der Captain gibt einige Kostproben seines Wissens, solange sein ehemaliger Mentor noch an Bord ist, und betrachtet mit der Faszination eines Kindes das Artefakt, das ihm der Professor mitgebracht hat und gleich darauf schenkt - was er nicht ganz uneigennützig tut, denn Picard erklärt, dass der Naiskus die vielen Stimmen symbolisiert, die sich in einem Menschen befinden und ihn zu einem Ganzen formen. Und bei Picard soll die Stimme, die für die Archäologie spricht, gestärkt werden.
Der Professor ist überzeugt, dass Picard zu einem großen Archäologen geworden wäre, hätte er sich nicht für die Sternenflotte entschieden. Nun stellt er Picard erneut vor die Wahl, wird jedoch wieder enttäuscht. Picards innerer Konflikt lässt sich gut nachvollziehen, wie auch seine Entscheidung. In der Episode durchlebt er fast alle wichtigen Gefühle: Begeisterung, Begierde, aber auch Rachsucht und Forscherdrang. Dieses Wechselbad der Gefühle macht die Episode zu einer weiteren Meisterleistung Patrick Stewarts, der Picard in allen Situationen mit gewohnter Intensität und Leidenschaft spielt.

Wie in Picard-Folgen üblich, verblassen die restlichen Charaktere zu seinen Gunsten. Jedoch werden die meisten nicht völlig außer Acht gelassen: So hat Data eine wundervolle Szene, in der der klingonische Captain mit ihm die klingonische Variante von Armdrücken (B'aht Qul) durchexerzieren will und gnadenlos verliert. Als er Data dann eine Kopfnuss gibt, erlebt er eine weitere unangenehme Überraschung. Zu seinem großen Leidwesen sind Datas intellektuelle Fähigkeiten mindestens so hoch wie seine im klingonischen Reich offensichtlich weithin bekannten physischen, denn der Bestechungsversuch scheitert kläglich.
Deanna erkennt Picards heftige Emotionen, es gelingt ihr jedoch nicht, dem Captain von großer Hilfe zu sein. Vielmehr muss sie sich von ihm anschnauzen lassen, als er darlegt, dass ihn die seit sechs Monaten geplante Konferenz im Vergleich zu Galens Tod herzlich wenig interessiert.
Worf verbrüdert sich ganz nebenbei mit dem klingonischen Captain, Geordi und Riker haben nur Minirollen. Bei letzterem ist es verständlich, denn Jonathan Frakes (Riker) führte in dieser Episode Regie, und in solchen Fällen stellt er seinen Charakter meist stark in den Hintergrund. Mit dieser Episode ist ihm auf jeden Fall eine kleine Meisterleistung gelungen.

Neben dem überzeugenden Picard und insgesamt guten Charakteren ist auch die Handlung hervorragend. Die bereits angesprochene Erläuterung, dass alle bekannten (und unbekannten) Spezies von derselben Spezies abstammen, löst nach viel zu langer Wartezeit eine der interessantesten Fragen aller Trek-Serien. Doch auch die Inszenierung ist vom Feinsten. So entwickelt sich aus einem anfänglichen Gewissenskonflikt Picards, der mit Galens Abreise beendet scheint, eine Schnitzeljagd, die quer durch den Quadranten führt und immerhin 4 der wichtigsten Parteien des Quadranten zusammenbringt: Cardassianer, Klingonen, Romulaner und Föderation, die das zur Verfügung stehende Gebiet größtenteils unter sich aufgeteilt zu haben scheinen, obgleich es auch Gegenden innerhalb des Alpha-Quadranten gibt, in denen keine dieser vier Parteien herrscht.

Eine der größten Pointen der Episode ist das Erscheinen der fremden Figur, denn jene ist ja der Auffassung, dass ihre Nachfahren offensichtlich in einem umfassenden Frieden leben, da sie schließlich nur gemeinsam das Rätsel lösen konnten. Zwar haben sich drei der Parteien für einen Teil der Suche zusammengetan, jedoch wurde die ganze Zeit über nach einem Weg gesucht, die anderen zu übervorteilen (außer von der stets mitteilungsfreudigen Föderation). Und von Frieden kann schon gar nicht die Rede sein, denn immerhin bedeutet die Abwesenheit von Gewalt, die zur gegenwärtigen Zeit im Trek-Universum zwischen den genannten Parteien herrscht, noch lange keinen wahren Frieden.
Während Cardassianer und Klingonen, die sich weit ähnlicher sind, als sie je zugeben würden, die Erkenntnis der gemeinsamen Abstammung mit Abscheu erfüllt, ist es unerwarteterweise ausgerechnet der Romulaner, der die schöne Schlussbemerkung spricht (s.o.), die auf bessere Zeiten hoffen lässt.

Zur Inszenierung: Interessant fällt eine Kameraeinstellung auf, als Picard und andere den Transporterraum betreten, denn die Kamera zeigt das Geschehen von der Plattform aus mit Sicht auf die Konsole nahe dem Ausgang. Das ist selten (das letzte mal dürfte in "Todesangst beim Beamen" gewesen sein) und vermittelt ein völlig neues Bild vom Transporterraum.

Den Namen seines Mentors benutzt Picard in "Der Schachzug" als Schmuggler-Decknamen, was ebenfalls nicht uninteressant ist, da auf diese Weise ein indirekter Bezug zu "Das fehlende Fragment" hergestellt wird. Es lässt sich dadurch auch erahnen, wieviel dem Captain der Professor bedeutet haben muss.

Markant: Salome Jens (die Fremde) ist bei DS9 als Gründerin zu sehen, die stets versucht, Odo in die große Verbindung zurückzuholen.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Jonathan Frakes hier ein hervorragendes Stück Trek-Entmystifizierung gelungen ist (was wohl zu großen Teilen auch am genialen Drehbuch liegen dürfte, das von Joe Menosky verfasst wurde, aber auf einer Geschichte von Ronald D. Moore basiert), das sowohl in der Inszenierung als auch durch die Charaktere (in erster Linie natürlich Picard) überzeugt.

Spannung: 5 SFX: 6 Handlung: 6 Gesamt: 6
Zusammenhänge

Den Namen seines Mentors (Galen) verwendet Picard als Schmuggler in "Der Schachzug".

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Ausdruck vom: 19. 04. 2024
Stand des Reviews: 26. 11. 2020
URL: http://www.startrek-index.de/tv/tng6_20.htm