Fang den Bösewicht
von Andrej Schwabe, 11.10.2019
Inhalt:
Auf Tarsus IV droht eine verheerende Hungersnot, nachdem die
Lebensmittelvorräte der Kolonie durch eine Pilzkrankheit befallen
wurden (TOS "Kodos, der Henker").
Der später berüchtigte Adrian Kodos wird angesichts der
dramatischen Lage zum Gouverneur ernannt. Er suggeriert den
Bewohnern, dass es keine Hilfe für die Kolonie geben wird. Kurz
darauf lässt er tausende Menschen hinrichten unter dem Vorwand,
dadurch die geringen Vorräte besser auf weniger Bewohner verteilen
zu können.
Währenddessen wird ein Schiff mit Commander Philippa Georgiou an
Bord zu der Kolonie entsandt, um mit Nahrungsmitteln auszuhelfen.
Als das Schiff den Planeten erreicht, bricht Kodos' Herrschaft in
sich zusammen und er taucht unter. Commander Lorca ist auf Tarsus
IV stationiert und verschreibt sich der Jagd nach Kodos.
Kritik:
Als Serie, die chronologisch vor TOS spielt, bietet Discovery eine
günstige Gelegenheit für Prequels, die sowohl von der TV-Serie als
auch von der Romanwelt dankbar genutzt wird. "Drastische Maßnahmen"
ist genau solch ein Roman und erzählt die Vorgeschichte zur
TOS-Folge "Kodos, der Henker",
in der der gesuchte Massenmörder Kodos enttarnt und nach
Jahrzehnten endlich gefasst (und dann ermordet) wird.
Um einen der negativen Punkte gleich voranzuschicken: Leider
gelingt es dem vorliegenden Roman nicht, mehr Licht in die schon in
der TV-Folge arg konstruiert wirkende Hungersnot zu bringen, die
auf Tarsus IV wütet. Wie abgelegen muss die Kolonie liegen, damit
über lange Zeit keine Hilfe den Planeten erreichen konnte? Waren
wirklich alle Nahrungsmittel von der Pilzkrankheit befallen oder
gab es nicht doch Alternativen? Warum sollte die Bevölkerung die
Hinrichtung Tausender begrüßen? Warum konnte keiner der
Überlebenden Kodos identifizieren, obwohl er immerhin Gouverneur
war? Der Roman müht sich zugegebenermaßen mit leidlichen
Erklärungen ab, die aber zu dürftig bleiben. So richtig
verständlich werden die Handlungen und Motive der Anhänger des
skrupellosen Herrschers nicht, die ihm scheinbar schon viel länger
ergeben zu sein scheinen. Bei der zentralen Figur Kodos setzt Ward
auf den klassischen Bösewicht mit wenig überraschender kühler,
menschenverachtender Machtgier.
Während der erste Teil des Romans nun relativ knapp die
Geschehnisse beschreibt, die der berüchtigten Hinrichtungsaktion
vorausgingen, widmet sich der umfangreichere zweite Teil der
fieberhaften Suche nach Kodos. Es wird einige Action geboten, wenn
sowohl Lorca als auch Georgiou Kodos nachjagen.
Der Roman weicht dabei vom üblichen linearen Handlungsverlauf ab,
indem immer wieder Flashforwards eingestreut werden, z.B.
Zeitungsberichte über eine Gefangenenkolonie, in der Kodos Helfer
eingesperrt sind und die damaligen Ereignissen reflektieren. Obwohl
die Dramatik der Hungersnot oft beschwört wird, ist sie anfangs
kaum greifbar. Erst im Verlauf der Handlung wird sie durch
Rückblicke von Kodos Helfern sichtbarer und nachvollziehbar,
beispielsweise wenn beschrieben wird, wie unzählige Bauernhöfe in
Flammen aufgehen müssen, um die Pilzkrankheit - letztlich ohne
Erfolg - einzudämmen.
Ein schönes Detail ist, dass Kirk ebenfalls als Nebenfigur
auftaucht, da er diese Zeit als Kind erlebte und sie ihn nachhaltig
verändert hat, wie wir in TOS erfahren.
Wirklich überraschend für Discovery ist die Tatsache, dass Michael
Burnham in dem Roman überhaupt nicht auftaucht. Dafür stehen zwei
ihrer wichtigsten Bezugspersonen der ersten Staffel im Vordergrund,
nämlich Lorca und Georgiou.
Den Lorca, den wir hier erleben, konnten wir in der Serie nie
kennenlernen, denn es handelt sich offensichtlich um den "echten"
Prime-Lorca. Der Spiegeluniversums-Lorca tritt erst kurz nach
Beginn des Klingonenkrieges an die Stelle seines Pendants. Trotzdem
scheinen beide Ausgaben von ihm viele Gemeinsamkeiten zu haben:
Lorca wird als entscheidungsfreudig und draufgängerisch
beschrieben. Seine empfindsame Seite wird oberflächlich
angeschnitten, als er seine Freundin kennenlernt, die leider wenig
später von Kodos Schergen hingerichtet wird. Eine nette Anspielung
auf die Serie gibt es, denn sie hat ihm seinen Faible für
Glückskekse eingebrockt. Abseits davon wird Lorca als harter Hund
gezeichnet und schreckt in seiner Wut auch nicht davor zurück,
jemandem ganz un-sternenflottig die Waffe an den Kopf zu halten.
Die noch-nicht-Captain Georgiou wird als ruhig und überlegt
eingeführt, so wie wir sie in den Pilotfolgen der Serie
kennengelernt haben. Sie übernimmt die Koordinierung der ersten
Notmaßnahmen, nachdem ihr Schiff bei Tarsus IV angekommen ist.
Gleichzeitig versucht auch sie, den Hintermännern von Kodos das
Handwerk zu legen. Dabei muss sie Lorca immer wieder im Zaum
halten, der bei der Jagd nach Kodos schnell Grenzen überschreitet.
Wards ausbreitende Darstellung der Probleme auf Tarsus IV verfängt
mit der Zeit immer mehr, obwohl grundsätzlich nicht viel neues
erzählt wird. Gleichzeitig versucht er das beste aus der Verfolgung
von Kodos herauszuholen und präsentiert spannende Momente.
Allerdings ist es mit der Spannung dann auch nicht so weit her, da
man als Zuschauer der TOS-Serie weiß, was mit Kodos passierte. Und
dass er garantiert nicht gefasst werden wird, sondern erst später
auf der Enterprise von Kirk enttarnt werden wird.
Infos:
Star Trek: Discovery
Band 2
Titel: Drastische Maßnahmen (Drastic Measures)
Autor: Dayton Ward
Erscheinungsjahr: Deutschland: 2018, USA: 2018
Deutsche Übersetzung von Helga Parmiter
Preis: 15,00 €
Cross Cult Verlag
Mit freundlicher Unterstützung vom Cross Cult Verlag
Fragen, Kritik oder Anregungen? Schreiben Sie an
Andrej Schwabe.